Dialogforum
„Jobcenter im Praxistransfer“

Berlin, 31. Januar 2024

Am 31. Januar 2024 haben sich Vertreterinnen und Vertreter von Modellvorhaben aus dem Bundesprogramm rehapro, die durch den Forschungsverbund rehapro wissenschaftlich begleitet werden, Leitungskräfte der beteiligten Jobcenter sowie von Fachreferaten des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) und der Bundesagentur für Arbeit (BA) zum 3. Fachforum „Dialogforum Jobcenter im Praxistransfer“ getroffen. Zentrales Anliegen der Veranstaltung war der Austausch über praktisch wirksame Ansätze und Vorgehensweisen der rehapro-Projekte sowie die Möglichkeiten und Grenzen, diese auch außerhalb der Modellförderung zu implementierren. Konkret sollte es hierbei auch darum gehen, Anforderungen an und Bedingungen für mögliche Verstetigungsbemühungen zu diskutieren.

Der Forschungsverbund rehapro setzt sich aus den folgenden Partnern zusammen:

ism Logo

Dokumentation des Dialogforums

Begrüßung

Die Veranstaltung begann mit einer kurzen Begrüßung durch Frau Dr. Kriwoluzky (SÖSTRA) und einer Darlegung des Tagesablaufs. Der Forschungsverbund besteht aus vier Forschungsinstituten: dem ism aus Mainz, dem ITA aus Kaiserslautern, der Lawaetz-Stiftung aus Hamburg und der SÖSTRA GmbH aus Berlin. Zusammen begleiten die Institute insgesamt 14 rehapro-Projekte (13 JC-Projekte, 1 DRV-Projekt) aus dem ersten und zweiten und bereits ein weiteres aus dem dritten Förderaufruf. Beteiligt haben sich am 31.01.2024 rund 50 Personen.

Zentrales Anliegen der Veranstaltung war der Austausch über praktisch wirksame Ansätze und Vorgehensweisen der rehapro-Projekte sowie die Möglichkeiten und Grenzen, diese auch außerhalb der Modellförderung zu implementieren. Konkret sollte es hierbei auch darum gehen, Anforderungen an und Bedingungen für mögliche Verstetigungsbemühungen zu diskutieren. Hierzu sollten frühzeitige Erkenntnisse für die weitere Gestaltung des Bürgergeldgesetzes vor Ort in den Jobcentern mit einem Austausch darüber verbunden werden, wer für die Berücksichtigung und Implementation in den Jobcenterregionen welche Beiträge leisten
sollte.

Dies sollte vor dem Hintergrund des anstehenden dritten Förderaufrufs sowie den zunehmend auslaufenden Projekten des ersten Förderfaufrufs geschehen. Ein weitere wichtige Kontextbedingung des Austauschs ist die festellbare Zunahme von ELB mit gesundheitlichen Einschränkungen in den letzten Jahren. Nicht zuletzt wird der Austausch auch durch die im vergangenen Jahr erlassene Regelung des Bürgergelds gerahmt.

Einführung

Nach der Begrüßung folgte ein Vortrag von Michael Seligmann (ism) zu bisherigen Erkenntnissen der Wissenschaftlichen Begleitung aus der Begleitung von rehapro-Modellprojekten. Ein ausführlicher Foliensatz liegt vor und ist dieser Dokumentation als Anhang beigefügt. Die vorgestellten Themenfelder auf den Folien wurden durch die Wissenschaftlichen Begleitungen der Modellprojekte im Vorfeld der Veranstaltung abgeleitet.

Im Anschluss an den Vortrag von Herrn Seligmann richtete sich der Fokus darauf, konkrete praktische Einblicke und Erkenntnisse aus den rehapro-Projekten des Forschungsverbunds sowie deren Verstetigungserfordernisse zu diskutieren. Dies geschah durch einen moderierten Austausch anhand wirksamer Beispiele aus ausgewählten Projekten im Rahmen zweier Themenfelder. Dieser Austausch bestand zum einen aus Kurzimpulsen zu jeweils vier Unterthemen pro Themenfeld durch Vertreter*innen der jeweiligen Projekte. Innerhalb dieser Vorträge fokussierten die Vortragenden sich auf einen oder mehrere exemplarische Bestandteile ihres Projekts zu einem Unterthema mit einem innovativen Charakter sowie die bisherigen praktischen Erfahrungen und Erkenntnisse damit. Zum anderen diente eine Diskussionsrunde unter Einbezug aller Anwesenden im Anschluss daran dazu, Erfordernisse für eine erfolgreiche Umsetzung dieser Projekt-Aspekte und deren Grenzen zu diskutieren.

Der Fokus des ersten Themenfelds richtete sich auf die Erkenntnisse der Projekte darüber, wie eine neue Kultur in der Begleitung der Teilnehmenden wirksam gestaltet wird. Der Fokus des zweiten Themenfelds lag hingegen auf den Projekt-Erkenntnissen zu den Rahmenbedingungen bzw. dem Setting innerhalb der Jobcenter, die notwendig sind, um eine verbesserte Unterstützung der Zielgruppe zu ermöglichen. Alle Bestandteile lassen sich in der Praxis nicht trennscharf voneinander abgrenzen, sondern habe enge Bezüge untereinander.

Aus vortragstechnischen Gründen ist ein unterteiltes Vorgehen gewählt worden. Im Ablauf sollte es ausdrücklich nicht um die Präsentation einzelner Projekte gehen, sondern um die exemplarische Verdeutlichung der vorgelegten Erkenntnisse anhand der gelebten Praxis.

Entsprechend ergab sich folgender Ablauf der Veranstaltung:

Themenfeld 1: Eine veränderte Kultur im Umgang mit Teilnehmenden und Unternehmen praktizieren

Thema I: „Selbstbestimmtheit und Eigenverantwortung befördern“, ProGEs, Frankfurt a.M.
Thema II: „Ergebnisoffen begleiten und unterstützen“, PAN, Kreis Plön
Thema III: „Leistungen individuell ausgestalten und bedarfsorientiert arbeiten“, SanusLE, Leipzig
Thema IV: „Passgenau und potenzialgerecht integrieren“, rpE, Aachen, Heinsberg, Düren
Diskussion – Was braucht es für eine erfolgreiche Verstetigung der Projektansätze?

Themenfeld 2: Erforderliches Setting für eine wirksame Haltung und Kultur

Thema I: „Lotsen-/Case Management-Funktion“, GECKO, Landkreis Uckermark
Thema II: „Kompetenzen der Coaches entwickeln: Gesundheits-, Beratungs-, Begleit-, Prozessgestaltungskompetenz“, V-I-T, Keis Groß-Gerau und Darmstadt
Thema III: „Organisations- und rechtskreisübergreifende Kooperation/Vernetzung“, Gesund4PunktZukunft, Landratsamt Ortenaukreis
Thema IV: „Infrastruktur (Räume, Gruppenangebote, Einzelberatung, Betreuungsschlüssel)“, GesA, Düsseldorf
Diskussion – Was braucht es für eine erfolgreiche Verstetigung der Projektansätze?

Beispiel einer begonnenen Verstetigung: Implementierung des Fallmanagement mit Schwerpunkt Gesundheit – ICh (Jobcenter Ostholstein)

THEMA 1: „Selbstbestimmtheit und Eigenverantwortung befördern“

Projekt: Pro Gesundheit – Aktivierung und Gesundheit (ProGEs), Jobcenter Frankfurt a. M.

Referent: Herr Schnepf, Projektkoordinator

Erfahrungen und Inhalte der Innovation:

  • Der Kern des Projekts ist der Aufbau eines Gesundheitscoaching-Systems.
  • Dieses System soll zum einen eine ergebnisoffene Arbeit mit den Teilnehmenden im Rahmen einer individualisierten Begleitung ermöglichen. So sind die Angebote modular und nach den Bedarfen der Teilnehmenden ausgerichtet. Hierdurch soll die Selbstbefähigung der Teilnehmenden, eigene Perspektiven zu entwickeln, gestärkt werden.
  • Zum anderen soll den Teilnehmenden ein gesundheitsbewusster Lebensstil vermittelt werden, der eine gesellschaftlich integrierende Lebensweise ermöglicht. Dies geschieht durch eine individuell sinnvolle Vernetzung mit dem Sozialraum der Teilnehmenden.
  • Die Maßgabe der Arbeit mit den Teilnehmenden ist eine „Koproduktion“ von Teilnehmer*innen und den Coaches mit dem Ziel, über eine gesteigerte Zuverlässigkeit und Tagesstruktur die Selbstorganisation der Teilnehmenden zu verbessern.

Erkenntnisse:

  •  Durch die ergebnisoffene und situative Begleitung bauen die Teilnehmenden Vertrauen zu den Coaches auf und öffnen sich. Die Konsequenz ist, dass Teilnehmende zunehmend mehr Informationen in die Koproduktion einbringen bzw. diese aktiver gestalten. Diese Informationen können die Coaches wiederum für eine auf die Bedarfe der Teilnehmenden zugeschnittene Unterstützung nutzen. Hierdurch entwickeln Teilnehmende Selbstvertrauen und Selbstwirksamkeit sowie persönliche Perspektiven.

Erfordernisse und Grenzen:

  • Eine erfolgreiche Teilnahme ist nur durch die Möglichkeit der Teilnehmenden denkbar, Bedarfe selbst äußern zu können.
  • Das Gesundheitscoaching wurde ausschließlich durch das Projektteam umgesetzt, eine Umsetzung durch den Träger war nicht möglich.
  • Der Fallzugang und die Projektumsetzung erwiesen sich als schwieriger als erwartet. Die Netzwerkarbeit ist ausbaufähig; vor allem die Bereitschaft der Teilnehmenden, externe Angebote zu nutzen, blieb „überschaubar“.

THEMA 2: „Ergebnisoffen begleiten und unterstützen“

Projekt: Potenzialentwicklung für arbeitslose Menschen zur Neuorientierung (PAN), Jobcenter Kreis Plön

Referentin: Frau Holzapfel, Teamleitung

Inhalte der Innovation und Erfahrungen:

  • Das bereits abgeschlossene Projekt richtete sich an ELB mit psychischen Erkrankungen und einem vorangegangenen Aufenthalt in einer Tagesklinik.
  • Ziel des Projekts war eine enge, ergebnisoffene Begleitung der Teilnehmenden aufbauend auf den Erfolgen in der Tagesklinik. Hierdurch soll eine dauerhafte Stabilisierung, aber nicht zwangsläufig ein Übergang in eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung erreicht werden. Auch das Ausüben von Ehrenämtern gilt als Projekterfolg.
  • Der Aufbau des Projekts erfolgte modular und sozialraumorientiert in vier Durchgängen mit jeweils 15 Teilnehmenden.

Erkenntnisse:

  • Die konzeptionelle Ausgestaltung im Sozialraum mit einer hohen Varianz der Module hat eine vielseitige Begleitung der Teilnehmenden ermöglicht.
  • Die interdisziplinäre Zusammenarbeit im Projektteams aus Psycholog*innen, Ergotherapeut*innen und weiteren Akteuren schafft einen wirksamen Methodenmix in der Zusammenarbeit mit den Teilnehmenden.
  • Die ergebnisoffene Begleitung ohne vorgegebenes Ziel ermöglicht eine Flexibilität in der Unterstützung der Teilnehmenden und bei den Maßnahmen. Hierdurch wird den Teilnehmenden der Vermittlungs-Druck genommen und sie können sich individuell entfalten.
  • Das Gruppengefühl in den Seminaren hat das Sozialgefüge gestärkt und den Teilnehmenden ihre regelmäßige Teilnahme erleichtert.
  • Der entscheidende Faktor war das vertrauensvolle Verhältnis der Teilnehmenden zu ihrer jeweiligen Bezugsperson innerhalb des Projekts: Das Vertrauen hat den Teilnehmenden in ihrer Perspektivfindung geholfen.

Erfordernisse und Grenzen:

  • Eine zielgerichtete Unterstützung innerhalb des Projekts ist umso besser möglich, je klarer die jeweilige Diagnose ist.
  • Für eine Projektteilnahme ungeeignet sind Personen, die neben psychischen Erkrankungen Begleiterkrankungen (bspw. Sucht) aufweisen.

THEMA 3: „Leistungen individuell ausgestalten und bedarfsorientiert arbeiten“

Projekt: SanusLE, Jobcenter Leipzig

Referent: Herr Thänert, Projektkoordinator

Inhalte der Innovation und Erfahrungen:

  • Das Projekt SanusLE baut auf zwei Bausteinen auf: einer intensiven Begleitung der Teilnehmenden durch die Coaches eines speziellen rehapro-Teams im Jobcenter Leipzig und der Vermittlung der Teilnehmenden in eine Maßnahme zur Gesundheitsförderung, die von einem externen Träger angeboten wird.
  • Die Coaches haben eine Kümmerer- und Lotsenfunktion, sie zeigen den Teilnehmenden Optionen und Mittel auf, um im Sinne der „Hilfe zur Selbsthilfe“
    eigenständig ihre gesundheitliche Situation zu verbessern.
  • Bei Bedarf vermitteln die Coaches in entsprechende Angebote von Netzwerkpartnern. Die Angebote bieten den Teilnehmenden eine große Bandbreite
    an Optionen der gesundheitlichen Begleitung. Zur Übersicht dient eine Netzwerkkarte, die regelmäßig aktualisiert werden muss.

Erkenntnisse:

  • Die Freiwilligkeit ist der zentrale Kern des Projekts: Durch die intensive Begleitung werden die Teilnehmenden motiviert, eine Veränderungsbereitschaft aufzubauen und eigenständig Initiative zu ergreifen. Es wird kein konkretes Ziel vorgegeben; es geht vielmehr darum, die Selbstwirksamkeit der Teilnehmenden zu stärken.

Erfordernisse und Grenzen:

  • Der ursprünglich angestrebte Betreuungsschlüssel von 1:75 war sehr ambitioniert, effektiv liegt er bei einem Verhältnis von 1:100. Dies hatte Abstriche in der Intensität der Begleitung der Teilnehmenden zur Konsequenz.
  • Nicht alle potenziellen Teilnehmenden kommen mit der Freiwilligkeit des Projekts zurecht; vereinzelt können sich Interessierte nicht zu einer Teilnahme motivieren
  • Das Projekt wird innerhalb des Jobcenters nur teilweise anerkannt. Die Mitarbeitenden des Jobcenters verstehen und akzeptieren nur bedingt, dass das
    Projekt im Rahmen des SGB II einen anderen Ansatz praktiziert.

THEMA 4: „Passgenau und potenzialgerecht integrieren“

Projekt: rehapro Euregio (rpE), Jobcenter StädteRegion Aachen, Jobcenter Heinsberg, jobcom Düren

Referent: Herr Wiemer, Projektleiter Verbundprojekt

Inhalte der Innovation und Erfahrungen:

  • Zielgruppe des Projekts sind ELB mit diversen Formen gesundheitlicher Einschränkung und einem erkennbaren Veränderungswillen.
  • Der Kern des Projekts ist eine potenzialorientierte Vermittlung im Sinne eines Work-First-Ansatzes inklusive eines Coachings durch die sogenannten Job-Coaches vor und nach der Arbeitsaufnahme. Im Vordergrund stehen die Potenziale der Teilnehmenden, nicht deren Hemmnisse.
  • Wichtiger Bestandteil ist das Netzwerk an Projektpartnern bestehend aus einem Inputgeber, einem beruflichen wie auch einem medizinischen Träger, der Suchthilfe, dem IFD und einem integrierten Arbeitgeberservice in Form von Betriebsakquisiteur*innen.

Erkenntnisse:

  • Die potenzial- und gesundheitsorientierte Ausrichtung hat eine neue Sichtweise auf die Menschen in Leistungsbezug zur Konsequenz. Durch das Vertrauen, das den Teilnehmenden entgegengebracht wird, entwickeln auch diese eine neue Perspektive auf das Jobcenter.
  • Die Zusammenarbeit der Partner ermöglicht es durch Profiling und eine berufliche Erprobung die Potenziale der Teilnehmenden zu erkennen und entsprechend zu vermitteln.
  • Durch die Anwendung von Bestandteilen aus dem Konzept des Jobcarvings werden Stellen auf die Potenziale der Teilnehmenden zugeschnitten. Eine wichtige Rolle kommt hierbei dem IFD, der im Projekt für alle Teilnehmenden unabhängig vom GdB handeln konnte, zugute.
  • Entscheidend ist zudem die Potenzialprämie, die Arbeitgeber*innen für geschaffene Arbeitsplätze erhalten.

Erfordernisse und Grenzen:

  • Für das ausgiebige Profiling und Assessment ist ein Vertrauen der Teilnehmenden nötig.
  • Anpassungen des Arbeitsplatzes (bspw. räumliche Anpassungen) sind teilweise mit einem hohen Aufwand verbunden.
  • Es war eine erheblich intensivere Betreuung der Teilnehmenden als geplant notwendig. Dies hatte eine geringere Anzahl an Teilnehmenden zur Konsequenz.

Im Anschluss an die Kurzvorträge fand eine Diskussion über die Erfordernisse und (aktuellen) Grenzen für eine erfolgreiche Weiterführung der verschiedenen Projektansätze statt.

Erfordernisse und Grenzen im Projekt „rpE“ (Städteregion Aachen):

Die Betreuung im Rahmen des §16k weist große Überschneidungen zum Ansatz des Projekts rpE auf. Zum Zeitpunkt dieser Dokumentation erfolgen an allen drei Jobcenter-Standorten des Projekts konkrete konzeptionelle Vorbereitungen mit Blick auf eine zukünftige Umsetzung von in rpE bewährten Arbeitsansätzen.

Um Potenziale der ELB zu erkennen ist die wichtigste Rahmenbedingung ausreichend Zeit, was jedoch im Kontrast zur aktuell angeschobenen Job-Turbo-Kampagne des BMAS steht. Um eine Umsetzung des Projektansatzes zu ermöglichen, ist eine Erweiterung des Aufgabenfelds des IFD notwendig, damit dieser Anpassungen des Arbeitsplatzes auch für Menschen ohne GdB 50 und höher (oder Gleichgestellte) vornehmen kann. Notwendig ist zudem auch zukünftig eine Integration der im Projekt erprobten zeitnahen, betriebsorientierten medizinischen Dienstleistungen (Profiling, Begleitung).

Erfordernisse und Grenzen im Projekt „PAN“ (Plön):

Die Übernahme des Projekts ins Regelgeschäft kämpft bisher an den unzureichenden Integrationsbudgets des SGB II. Entscheidende Rahmenbedingung für eine dauerhafte Implementierung ist dabei die grundsätzliche politische Prioritätensetzung: Gilt der Fokus nahezu ausschließlich schnellen Integrationen oder werden bestimmte Personengruppen berücksichtigt? Eine Übertragung des Projekts in das Regelgeschäft ist zudem unter den bisherigen Vergabe-Richtlinien nur schwierig möglich, da es einer längerfristigen und verlässlichen Zusammenarbeit mit dem gleichen Personal bedarf. Hier ist eine Anpassung
der Vergabevorgaben notwendig.

Erfordernisse im Projekt „GehVor“ (Halle):

Die entscheidende Rahmenbedingung des Projekts „GehVor“ in Halle ist ebenfalls die Finanzierung. Denkbar ist eine Weiterführung des Projektansatzes im Rahmen des §16k. Bisher fehlt hierfür jedoch die entsprechende Finanzierung. Anzunehmen ist, dass dies im Rahmen der zukünftig schrumpfenden Budgets der Jobcenter noch schwieriger wird. Vor diesem Hintergrund ist für das Jobcenter Halle aktuell nur die Fortführung des Projekts als „Light-Variante“ vorstellbar.

Erfordernisse im Projekt „Gesund4PunktZukunft“ (Ortenau):

Ähnlich wie in Plön ist auch in Ortenau die Frage nach einem Haltungs- und Paradigmenwechsel innerhalb der Jobcenter Richtung Sozialarbeit der entscheidende Faktor für eine Verstetigung: Im Gegensatz zu der reinen Vermittlungsarbeit würde eine weitergefasste Ausrichtung dem Personenkreis von Menschen mit gesundheitlichen Einschränkungen nachhaltig weiterhelfen. Eine entsprechende Umsetzung scheiterte bisher an dem finanziellen Mehraufwand, den diese Ausrichtung bedeuten würde.

THEMA 1: „Lotsen-/Case Management-Funktion“

Projekt: Gesundheitscoaching und -kooperation im Jobcenter Uckermark (GECKO), Landkreis Uckermark

Referent: Herr Thews, Projektkoordinator

Inhalte der Innovation und Erfahrungen:

  • Ziel des Projekts ist die Stabilisierung des gesundheitlichen Zustands von ELB mit gesundheitlichen Einschränkungen.
  • Der innovative Kern des Projekts besteht in der dialogischen Haltung der zwei Gesundheitscoachs im Rahmen ihrer Lotsentätigkeit: Die Zusammenarbeit mit den Coachs und die entsprechenden Methoden der Begleitung richten sich nach den Bedarfen der Teilnehmenden. Zudem nutzen die Coachs gesundheitsfördernde Angebote von Netzwerkpartnern, in die sie die Teilnehmende vermitteln und sie im Rahmen aufsuchender Arbeit bei Bedarf auch begleiten.
  • Dies wird durch das zweite Standbein des Projekts, den Aufbau eines funktionierenden Netzwerks von Akteuren im Gesundheitssektor, ermöglicht. Hierzu wurde ein Netzwerkatlas erstellt, der den Teilnehmenden eine Übersicht mit allen relevanten Akteuren und Unterstützungsangeboten bietet. Regelmäßige Stammtische mit interessierten Akteuren in der Hilfelandschaft und Netzwerktreffen dienen dem Aufbau einer partnerschaftlichen Zusammenarbeit.

Erkenntnisse:

  • Die individuelle und dialogische Begleitung ermöglicht den Teilnehmenden, ihre Probleme zu erkennen und Schritte zur Lösung der Probleme anzugehen: Die Teilnehmenden fühlen sich ernst genommen und bauen Vertrauen zu den Coachs auf. Das aufgebaute Vertrauen erleichtert eine gemeinsame Arbeit an den Problemen der Teilnehmenden.

Erfordernisse und Grenzen:

  • Zudem sind nur begrenzt (kostenlose) medizinische Angebote für die Teilnehmenden im Landkreis vorhanden.
  • Eine Auswertung der Nutzung der gesundheitsfördernden Angebote zeigt, dass die Teilnehmenden sich in den Maßnahmen größtenteils wohl fühlen, auch wenn der gesundheitliche Verbesserungseffekt überschaubar bleibt.

THEMA 2: „Kompetenzen der Coaches entwickeln: Gesundheits-, Beratungs-, Begleit-, Prozessgestaltungskompetenz“

Projekt: Vernetzung – Interaktion – Teilhabe (V-I-T), Kommunales Jobcenter Kreis Groß-Gerau & Jobcenter Darmstadt

Referentin: Frau Weis, Gesundheitscoach

Erfahrungen und Inhalte der Innovation

  • Die Zielgruppe des Projekts sind ELB mit psychischen Einschränkungen und/oder Abhängigkeitserkrankungen ab dem 25. Lebensjahr.
  • Ziel des Verbundprojekts ist es, Kooperationen der beiden Jobcenter in den jeweiligen Regionen und Sozialräumen zu etablieren.
  • Der innovative Kern des Projekts ist die Beratung und Begleitung aus einer Hand: Die Ressourcenorientierte, bedarfsorientierte und systemische Haltung der Coachs rückt die individuellen Bedürfnisse der Teilnehmenden in den Fokus.
  • Weitere Bestandteile des Projekts sind niedrigschwellige sozialräumliche Angebote und Gesundheitskurse.

Erkenntnisse

  • Durch den Projektansatz werden neue Wege in der Unterstützung der Zielgruppe gegangen: Die individuelle und offene Begleitung ermöglicht es, sich auf die Bedarfe der Teilnehmenden einzulassen. Die verschiedenen Perspektiven erlauben es, individuell passende Lösung für die Zielgruppe zu finden.

Erfordernisse und Grenzen

  • Die zentrale Umsetzungsbedingung ist die Entwicklung relevanter Kompetenzen der Beratungsteams, bestehend aus Gesundheitscoaches und einem Arbeitsmarktexperten, unterstützt durch psychologische und medizinische Expertise, sowie ein konstruktiver interdisziplinärer Austausch untereinander. Neben einer ressourcen-orientierten Arbeit im gesamten Jobcenter braucht es zum Kompetenzaufbau die Möglichkeit Erfahrungen zu sammeln mit Reflektion, Zeit, Ideen sowie Weiterbildung zum Thema systemisches Coaching.
  • Eine erfolgreiche Umsetzung des Ansatzes gelingt mit ausreichend Zeit in der Zusammenarbeit mit den Teilnehmenden und einem guten Standing des Projekts innerhalb des Jobcenters sowie einer unterstützenden Haltung der Bereichsleitung und der Geschäftsführung.
  • Erforderlich ist zudem eine offene, interessierte, wertschätzende Haltung gegenüber den Teilnehmenden sowie das Schaffen einer Vertrauensbasis. Die Vertrauensbasis bedarf der Pflege und Regelmäßigkeit. Vorgefertigte Musterlösungen sind oft nicht hilfreich. Es braucht Hilfe zur Selbsthilfe.
    Ebenso wichtig ist die Einbindung in ein Hilfesystem (Kenntnisse und Kontakte).

THEMA 3: „Organisations- und rechtskreisübergreifende Kooperation / Vernetzung“

Projekt: Gesundheit4PunktZukunft, Landratsamt Ortenaukreis

Referent: Herr Wenk, Projektleiter

Erfahrungen und Inhalte der Innovation

  • Ziel des Projekts ist es, die Gesundheitskompetenzen von 200 durch Krankheit belastete Familien zu verbessern; Krankheit wirkt sich auf das gesamte System aus.
  • Der innovative Kern des Projekts besteht in einem ganzheitlichen Beratungskonzept, welches die gesamte Bedarfsgemeinschaft berücksichtigt und somit eine Familienunterstützung auf systemischer Ebene ermöglicht.
  • Hierfür wurde eine rechtskreis- und institutionenübergreifende Kooperation des Jobcenters u.a. mit dem Jugendamt und dem Amt für soziale und psychologische Dienste geschaffen.
  • Das Beratungskonzept wird durch fünf Coaches (zwei aus dem Jobcenter und drei von dem beteiligten Träger AgilEvent) umgesetzt. Geplant ist zudem der Aufbau einer Netzwerkkarte.

Erkenntnisse

  • Die Kooperation zwischen Jobcenter und Träger bewirkt eine Erweiterung der Beratungskompetenzen der Coaches. Diese enge Zusammenarbeit „auf Augenhöhe“ ermöglicht gemeinsame Fallbesprechungen und die Entwicklung einer gemeinsam erarbeiteten Perspektive für die Familien.
  • Das Projektteam übernimmt die Kontaktaufnahme zu Netzwerkakteuren für die Teilnehmenden. Hierdurch steigt die Wahrscheinlichkeit, die Teilnehmenden dorthin vermitteln zu können, da die Projektmitarbeitenden oftmals hartnäckiger bei den Institutionen „nachhaken“ als Teilnehmende dies tun würden.

Erfordernisse und Grenzen

  • Die Vereinbarung der Arbeitsweisen der verschiedenen Projekt-Institutionen erweist sich als sehr aufwändig. Hier ist ein gesondertes Maß an Projektkoordination notwendig.
  • Dem Projektteam ist nicht immer bewusst, wo die Grenzen der Zuständigkeiten der einzelnen Projekt-Mitarbeitenden aus den unterschiedlichen Institutionen liegen.
  • Für die optimale Unterstützung der aufsuchenden Arbeit der Coaches ist ein großes Netzwerk von Nöten. Durch die aufsuchende Arbeit sehen Coaches vieles, das nicht ins unmittelbare Aufgabengebiet fällt, daher ist die Einbindung der Jugendhilfe und des Sozialamts von besonderer Bedeutung.
  • Die unterstützten Familien bewegen sich in unterschiedlichen Hilfsangeboten, nicht zwingend in unterschiedlichen Rechtskreisen. Eine vollumfängliche Unterstützung ist nur denkbar, wenn entsprechende Versorgungslücken geschlossen werden.
  • Bisher formal etablierte Kooperationen im Netzwerk werden operativ nur bedingt umgesetzt.

THEMA 4: „Infrastruktur (Räume, Gruppenangebote, Einzelberatung, Betreuungsschlüssel)“

Projekt: Gesund und Aktiv – aus einer Hand (GesA), Jobcenter Düsseldorf

Referentin: Frau Wiedenhaupt, Projektleiterin

Erfahrungen und Inhalte der Innovation

  • Im Rahmen des Projekts wurde eine Zusammenarbeit der Jobcenter Düsseldorf und Mettmann sowie dem Gesundheitsamt der Stadt Düsseldorf in einem eigens angemieteten „Gesundheitshaus“ geschaffen. Ziel ist es, Unterstützungsangebote aus einer Hand und unter einem Dach für Personen mit komplexen gesundheitlichen Einschränkungen anzubieten.
  • Teil dieser Infrastruktur sind zudem ein Projektcafé, ein Bewegungsraum sowie ein Medienraum.
  • Der innovative Kern des Projekts ist die engmaschige und wertschätzende Begleitung der Teilnehmenden in einem gemeinsamen Team, an einem Ort. Zudem ermöglicht diese Zusammenarbeit, Netzwerkpartner und -Angebote zu bündeln. Den Teilnehmenden werden bislang sehr vielfältige Gesundheitsangebote (z.B. Entspannungstraining und Ernährungsberatung), Kreativangebote und Themenveranstaltungen angeboten sowie die Unterstützung bei der Jobsuche an einem Ort ermöglicht.

Erkenntnisse

  • Die räumliche Verzahnung ermöglicht eine multiprofessionelle Betrachtung und Begleitung der Teilnehmenden. Die Abstimmungen innerhalb des Teams bspw. in Fallbesprechungen werden durch „kurze Wege“ vereinfacht.

Erfordernisse und Grenzen

  • Die umfassende Begleitung der Teilnehmenden durch mehrere Akteure und aus verschiedenen Blickwinkeln erfordert viel Zeit und entsprechende Beratungsangebote.
  • Auch die Krankenkassen profitieren direkt von der Projektarbeit. Eine verstärkte Unterstützung wäre wünschenswert.
  • Zudem wäre eine deutlich ausgeweitete Zusammenarbeit auf kommunaler Ebene– bspw. mit Psycholog*innen des Gesundheitsamts, die Sprechstunden anbieten – wünschenswert.

Auch im Anschluss der Kurzvorträge des zweiten Themenfelds fand eine Diskussion zu den Erfordernissen und (aktuellen) Grenzen für eine erfolgreiche Weiterführung der verschiedenen Projektansätze statt.

Gesund4PunktZukunft, Ortenau:

  • Für eine verbesserte Unterstützung ist eine neue Haltung zur Zusammenarbeit in den verschiedenen, für die Zielgruppe relevanten Institutionen von Nöten. Es braucht einen ganzheitlichen Blick, der eine gemeinsame Beratung der Kund*innen ermöglicht. Hierbei ist es wichtig, die Zielgruppe in den „Fahrplan“ miteinzubinden und Entscheidungen nicht „über den Kopf“ der Kund*innen hinweg zu treffen.

GesA, Düsseldorf:

  • Das bisherige Steuerungssystem des SGB II schließt die (große) Zielgruppe von rehapro aus. So ist es durch das bestehende System nicht möglich, Aspekte einer ganzheitlichen Teilhabe wie bspw. eine Verbesserung der Gesundheit der Kund*innen zu erfassen. Die zentrale Zieldimension bisher ist vielmehr allein auf eine weitgehend unmittelbare Integration in Arbeit ausgerichtet. Die Anpassung des Steuerungssystems ist eine entscheidende Rahmenbedingung, um eine neue Ausrichtung in der Arbeit mit der Zielgruppe adäquat erfassen zu können.

GehVor, Halle:

  • Die Kooperation der Jobcenter mit dritten Partnern (bspw. aus dem medizinischen Sektor) verbessert – wie verschiedene rehapro-Projekte verdeutlichen – die Unterstützung der Kund*innen. Die bisherige gesetzliche Verankerung des Datenschutzes macht diese Form der Kooperation im Regelgeschäft jedoch nahezu unmöglich. Es braucht eine gesetzliche Ermächtigung, die Jobcentern die Zusammenarbeit mit dritten Partnern ermöglicht.

Das Projekt „Ich habe eine Chance (ICh)“ des Jobcenters Ostholstein läuft vom 01.09.2019 bis zum 31.08.2024. Seit dem 01.01.2024 befindet sich der Verstetigungsprozess in der Implementierungsphase

  • Ziel des Projekts ist es, die individuelle Unterstützung körperlich und psychisch eingeschränkter Menschen im Rahmen des SGB II zu verbessern. Ein Mittel dazu war die Gründung von zwei Gesundheitshäusern, in denen relevante Akteure ihre Leistungen bündeln und fallabhängig abstimmen konnten, wobei wichtige Akteure wie die Rentenversicherung nicht eingebunden werden konnten. Es war in erster Linie das Fallmanagement des Jobcenters, das den Teilnehmenden als „Gesundheitslots*innen“ passgenaue Angebote wie ein individuelles Coaching, Termine zur gesundheitlichen Begutachtung durch eine Ärztin sowie offene Gruppenangebote vermitteln konnte.
  • Der Verstetigungsprozess wurde durch die Projektleiterin initiiert. Förderlich war, dass die mäßige Bewertung des bisherigen Fallmanagements die Geschäftsführung des Jobcenters zur Gründung eines neuen Fallmanagements bewog. Für eine positive Resonanz innerhalb des Jobcenters sollen die Fallmanager*innen in den Implementierungsprozess des neuen Schwerpunktes eingebunden werden.
  • Im Rahmen des Verstetigungsprozesses konnte der Ansatz des Projekts „ICh“ in ein neues Fallmanagement mit Schwerpunkt Gesundheit übertragen werden. Die während des Projekts geknüpften Kontakte mit Netzwerkpartnern konnten übernommen werden. Dies betrifft zum Beispiel eine Ärztin, die auch in Zukunft Begutachtungen der Kund*innen durchführen wird sowie die Möglichkeit von Coachings und die Teilnahme an offenen Angeboten kooperierender Programme, wie „teamw()rk für Gesundheit und Arbeit“ (bis 2022 „Verzahnung von Arbeits- und Gesundheitsförderung in der kommunalen Lebenswelt“) – eine gemeinsame bundesweite Projektinitiative der Bundesagentur für Arbeit (BA), des GKVSpitzenverbandes und der kommunalen Spitzenverbände. Für das Coaching können zukünftig AVGS genutzt werden.
  • Des Weiteren wird das Fallmanagement mit Schwerpunkt Gesundheit – im Verhältnis zum bisherigen Konzept des Fallmanagements – verhältnismäßig viel Zeit in der Arbeit mit den Kund*innen zur Verfügung haben.

Die vorliegende Dokumentation beinhaltet die Präsentationen sowie Mitschriften der wissenschaftlichen Begleitung zu den diskutierten Themen. Bitte geben Sie uns über untenstehendes Formular Rückmeldung, wenn die Seite Informationen enthält, die korrigiert werden sollten. Herzlichen Dank!